Das (vermeintlich) letzte Stündlein

Am Scheideweg
Am Scheideweg

Der Lauf des Jahres 2017 - im Nachhinein gesehen.

Akribische Planung und vorsichtige Wetterinterpretationen sind nicht meine größte Stärke (Trail Fail).  Wenn die Motivation für das Projekt die realistische Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit trübt, wird's manchmal schmerzhaft (another Trail Fail).

Wenn alles zusammenkommt, kann das sehr gefährlich werden.


Prolog:

In welchem Stil ich etwas am Berg mache, ist mir schon sehr wichtig! Zum Beispiel ist Gondelfahren eigentlich ein No-Go. Je nach Zielsetzung zumindest. In meiner Vorstesllung strebe ich immer die "logischen Linien" am Berg an. Und das sind meistens lange Grate, die man konsequenterweise in einem großen U, O, Hufeisen oder was auch immer, zu Ende laufen sollte. KEINESFALLS auf dem selben Weg wieder hinunter auf dem man hinauf ist. IMMER dir große Runde.

So weit der Wunschtraum.

Meistens schließt sich das aber aufgrund von technischer, zeitlicher oder konditioneller Unmachbarkeit von vornherein aus. Aber eben nicht immer. Und wenn sich dann so eine ästhetischer Linie ausginge....dann nehm ich meistens ein bisschen zu viel vor. Wie auch in Bohinj/Slowenien im Juli 2017.

Die schöne Linie...
Die schöne Linie...

Damals im Pfadfinderlager, hab' ich mir vorgenommen auch regelmäßig zu trainieren, was auch richtig gut geklappt hat. Zwar hat sich mein Wadenproblem, dass mich für den Rest Jahres außer Gefecht setzen sollte, schon bemerkbar gemacht, aber ich war gut drauf. Ein VK und eine wunderschöne Runde um den Bohinjsko jezero. Ein würdiger Abschluss in diesem tollen Gebiet musste her.

Die Südkette der Stadt Bohinj sieht auf der Wanderkarte wunderbar laufbar aus. Nochdazu liegt der Einstieg auf knapp 1300 m, der höchste Punkt auf 1950 m. Für den mittleren bis späten Nachmittag sind Gewitter angesagt, aber wenn ich am Vormittag loslaufe - kein Stress. Ich weiß nicht GENAU, wie weit das sein wird, aber ich fühle mich der Sache auf jeden Fall gewachsen. Zur Sicherheit hab' ich ohnehin eine Karte mit. Und im Notfall kann ich bei der Hälfte absteigen.

Ende Prolog


Sorica planina, 1307 m, 13:36, km 0:

Es ist heiß - drückend heiß. Ich hab' aber bei etwa der Hälfte der Strecke und 2/3 der Höhenmeter eine Schutzhütte, ich kann also nachfüllen. Los geht´s - ein Pfadfinder ist fröhlich und unverzagt. Der Trail ist wunderschön, ich mache ein paar Fotos und genieße den Grat. Manchmal nieselt für ein paar Minuten.


Crna prst, 1817 m, 15:20. km 9:

Endlich bin ich ander Schutzhütte angekommen. Meine Beine sind schon deutlich ermüdet. Beunruhigend viel Gegensteigung kassiert (ca 500hm). Hat man auf der Wanderkarte so nicht gesehen. Wenigstens die Zeit stimmt: 1h50 am Weg - Halbzeit (dachte ich). Von nun an sollte nicht mehr viel kommen.

Aber nachdem es immer dunkler wird (und der Niesel häufiger), kaufe ich bloß einen Liter Iso-Getränk auf der Hütte (zumindest das konnte ich erfolgreich vorausplanen), fülle 0,5l in die Flasks nach, hau' mir zwei Obstschnitten mit Hilfe der andern 0,5l rein und ab geht´s wieder. (Laut nur Strava 2 Minuten Pause).


Crna prst, 1800 m, 15:26, km 9:

Der Notausstieg. Wenn etwas schief geht, kann ich an dieser Stelle das erste und einzige Mal abbrechen. (mal abgesehen vom Hubschrauber). Von hier nur noch bergab, direkt ins Lager. Man sieht es sogar (im Nachhinein). Aber die erhoffte "schöne Runde" ist es halt nicht wenn ich jetzt schon vom Grat runter geh'. In meiner inneren Planung dauert der Grat noch etwas mehr als eine Stunde. Nur noch etwa 200m bergauf (ohne Gegensteigung versteht sich). Also keine Zeit verlieren, das Wetter sieht nicht besonders gut aus.

Das stetige Up and Down im Nebel
Das stetige Up and Down im Nebel

Irgendwo am Grat, 1900 m, 16:00, km 13 oder so:

Der Nebel lässt mich mittlerweile nicht mehr weiter als 20 m sehen, ich mach auch keine Fotos mehr. Es donnert in der näheren Ferne, ich hab' einen flauen Magen. Ich weiß nicht wo ich bin und bitte das Universum inständig, doch endlich mal nach einem der unzähligen kurzen Downhills diesen verdammten Wegweiser auftauchen zu lassen. Doch es kommt immer wieder nur der nächste Uphill. Ich hoffe ich hab' die Abzweigung nicht verpasst.

 

"Was, wenn es gar keinen Wegweiser gibt?" schießt es mir durch den Kopf.

Panisch schaue ich im Laufen jetzt immer rechts neben den Weg um nur ja nicht die Abzweigung zu verpassen. Aber ich entdecke nichts und die Karte hilft nicht weiter.


the dead end, 1770 m, 16:35, km 17,5:

Es der Wind peitscht mir den Regen ins Gesicht und es donnert direkt vor mir. PANIK. Ich will nur noch runter vom Grat.  Ich glaube das es das war - vom Blitz getroffen aus Überheblichkeit. Mein Magen krampft.

Schon viel zu lange laufe ich auf Anschlag, keine Reserve irgendwie zu beschleunigen. Im Kopf gehe ich durch was zu tun wäre, wenn ich schutzlos in ein Gewitter komme. FUCK !

Die Tatsache, dass statt der rettenden Abzweigung nur die nächste Steigung folgt, welche mich noch weiter in das Gewitter hineinführen würde, zermürbt mich vollends und ich entscheide nicht länger zu warten.

ICH STEIGE JEZTZ AB!!

Ich biege einfach vom Weg ab und renne in Falllinie bergab. Es schüttet wie aus Kübeln und die Donner sind ohrenbetäubend. Ich folge einem Bachbett und lande in einem steilen, nassen Schottergully.

RUNTER! EGAL WIE.

In wenigen Minuten muss hier ein Wasserfall sein - dann bin ich erledigt. Aber ich kann nicht mehr bergauf ausweichen - ich bin zu müde. Und außerdem ist es der schnellste Weg hinunter. Hoffentlich erwartet mich kein Abgrund. Sollte ich stürzen, bin ich sowieso erledigt.

Plötzlich schießt mir Kilian Jornet mit seinen Fähigkeiten ein - wie schnell wäre er jetzt wohl? Er wäre wohl nicht in dieser Situation.

Und dann falle ich mir selber ein:

Ich BIN trittsicher und habe jahrzehntelange Erfahrung!

Ich KANN auch diesen nassen, brüchigen Gully hinunterhasten!

Ich MUSS diesen Gully ohne Sturz hinunter!

Ich DARF hier nicht draufgehen!

 

Mit jedem Meter talwärts wächst meine Hoffnung, dass ich diese Nummer doch noch überleben könnte.


Suha planina 1370 m, 16:48, km 19:

 

Ich habe es geschafft.

 

In 13 Minuten bin ich 400 hm querfeldein abgestiegen - wobei sich absteigen wie purer Hohn anhöhrt. Ich bin dem Gully irgendwie entkommen und auf den ersehnten Wanderweg gestoßen, der mich auf eine Alm stoplern hat lassen. Das Gewitter ist über mich hinweggezogen - es regnet nur noch.

Die Almhütte war zwar verrammelt und verriegelt, aber ich war am endlich im Wald - und am Weg.

Ich musste mich "nur" noch 6 km und 750 negative hm zum Zelt schleppen - was noch lange 80 Minuten gedauert hat.

Der Gesichtsausdruck fasst es relativ gut zusammen.

Der Gesichtsausdruck fasst es relativ gut zusammen.


Epliog

Ich hatte vergessen, wie knapp das damals tatächlich war. Das Durchleben dieser Erinnerungen hat mich mehr mitgenommen, als ich für möglich gehalten hätte. Ich habe in der ganzen Erzählung nicht übertrieben - leider. Schlußendlich bin ich 500m vor meiner Abzweigung vom Weg abgegangen. Aber ich konnte einfach nicht weiter auf das Gewitter zulaufen. Und schließlich hat es mich ohnehin überrollt - aber zumindest nicht direkt am Grat.

 

Dieses Abenteuer war kein Type 2 Fun, über den man später lacht - sondern eine Lehre! Im Hochgebirge aufgrund von falschem Stolz in ein Gewitter zu kommen - das darf mir nicht mehr passieren!  

 

Danke für's zu ende lesen - sb


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